Zugang zu Angeboten ermöglichen

UN-BRK: Zugang zu allen Diensten

Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in die Gemeinschaft„Das Recht auf Inklusion in die Gemeinschaft (…) beinhaltet das Führen eines vollen Soziallebens sowie den Zugang zu allen Diensten, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, und zu den Unterstützungsdiensten für Menschen mit Behinderungen, um es ihnen zu ermöglichen, vollständig inkludiert zu sein und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben. Diese Dienste können unter anderem Wohnen, Beförderung, Einkaufsmöglichkeiten, Bildung, Beschäftigung, Freizeitaktivitäten sowie alle anderen Einrichtungen und Dienste umfassen, die für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden, einschließlich sozialer Medien.“

CRPD 2017: Allgemeine Bemerkung Nr. 5 II A b

Ein grundlegender Faktor für selbstbestimmte Gesundheitsförderung ist die Möglichkeit, an üblichen Angeboten teilhaben zu können. Diese Möglichkeit ist Menschen mit Behinderung seltener gegeben als Menschen ohne Behinderung. Barrierefreiheit und inklusive Angebote sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die folgenden Seiten enthalten Anregungen, wie Sie als Vertreter:innen von Wohneinrichtungen sowie Sport- und Bildungseinrichtungen dazu beitragen können, dass der Zugang zu Angeboten auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten leichter möglich wird.

Barrierefreiheit ausbauen

Städteplanung orientiert sich eher an den Bedürfnissen derer, die planen. Selten sind in den Planungsbüros Menschen mit Behinderung oder andere vulnerable Gruppen vertreten. Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderung elementar, in der Regel erleichtert sie aber auch das Leben nicht behinderter Menschen.

10 Prozent der Menschen sind auf Barrierefreiheit angewiesen, für 90 Prozent der Menschen ist sie äußerst angenehm. 1

Deutscher Seglerverband

Unabhängig davon, ob die Zahlen – 10 und 90 Prozent – stimmen, ist dieses Zitat dennoch eine gute Erinnerung. Barrierefreiheit ist nicht nur von entscheidender Bedeutung für Menschen mit Behinderung (wenn andernfalls ein Zugang für Menschen mit Behinderung unmöglich wäre), sondern kommt darüber hinaus noch mehr Menschen zugute: Vielleicht nutzt aktuell kein Vereinsmitglied einen Rollstuhl, aber ein schwellenfrei zugängliches Gebäude fördert auch die Familienfreundlichkeit des Vereins, weil problemlos auch ein Kinderwagen geschoben werden kann. Barrierefreie Toiletten nutzen möglicherweise auch ältere Vereinsmitglieder gerne, weil diese Toiletten unter anderem über Haltegriffe neben dem WC-Becken verfügen. Satzungen in einfacher Sprache lassen sich von allen schneller verstehen und sind insbesondere eine Hilfe für Menschen, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben oder gerade erst Deutsch lernen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Wenn Sie als Verantwortliche:r in Sport- und Bildungseinrichtungen über Barrierefreiheit nachdenken, sind vier Bereiche besonders wichtig: Kommunikation, Erreichbarkeit, Gebäude und Inhalt.

Kommunikation beginnt bereits, bevor ein Angebot überhaupt besucht wird. Denn auch die Vorab-Informationen über dieses Angebot müssen barrierefrei sein, damit möglichst viele Menschen sich selbst informieren können.

  • Broschüren sollten ebenfalls in Leichter Sprache vorliegen und zusätzlich mit Piktogrammen versehen sein.
  • Für Lehrmaterial empfiehlt sich zusätzlich zur schriftlichen auch eine akustische Version. Je nach Thema (und möglichem Aufwand!) eignen sich auch Videos. Vorlesestifte (Kapitel 4.4.3: Inhalte vermitteln) können ebenfalls eine Möglichkeit sein, wenn Sie über die entsprechenden Ressourcen verfügen.
  • Internetseiten sollten eine Version in Leichter Sprache beinhalten und einfach zu bedienen sein, so dass beispielsweise Angebote leicht gebucht werden können. Hilfreich ist auch eine Vorlesefunktion.
  • Angebote sollten möglichst übersichtlich dargestellt sein. Auch eine Such- und Filterfunktion ist sinnvoll. Gerade bei Sportangeboten wäre es wünschenswert, eine Übersicht aller Angebote einer Stadt oder Region zu haben. Eine solche Übersicht ist für die Sportverbände jedoch mit viel Aufwand verbunden, da kleine Vereine oftmals die Informationen auf ihren Webseiten nicht aktuell halten können.

Nachdem sich Menschen über ein Angebot informiert haben, müssen sie dieses Angebot in einem nächsten Schritt auch erreichen können. Erreichbarkeit ist ein überaus komplexes Thema, da Menschen ganz unterschiedliche Mobilitätsvoraussetzungen haben. Für die eine Person reicht es aus, einen Ort mit Bus und Bahn erreichen zu können. Andere sind darauf angewiesen, nur eine kurze Strecke zu Fuß oder im Rollstuhl zurücklegen zu müssen. Problematisch ist beim Transport auch immer das Thema Finanzierung, da vielen Menschen in Wohneinrichtungen kein eigenes Budget für Transportkosten zur Verfügung steht (Finanzierung sicherstellen). Daher sind Angebote, die fuß- oder radläufig erreicht werden können, besonders niederschwellig und empfehlenswert. Eine Sicherstellung dieser Voraussetzungen ist allerdings schwer umsetzbar.

Wichtige zu berücksichtigende Aspekte sind,

  • dass eine Bus- oder Bahnhaltestelle in der Nähe liegt, so dass der ÖPNV problemlos für eine Anreise genutzt werden kann.
  • dass es grundsätzlich möglich ist, auch ohne Fahrzeug anzureisen. Der Sportverein oder das Bildungsangebot sollten sich also möglichst in Zentrumsnähe befinden und über einen Gehweg zu erreichen sein. Gute Erreichbarkeit ist auch familienfreundlich!

In der Regel haben Sie auf die Lage Ihrer Einrichtung keinen Einfluss. Wenn Sie jedoch die Wahl zwischen verschiedenen Standorten haben, können Sie sich für die am meisten barrierefreie Alternative entscheiden. Darüber hinaus sollten diese Punkte insbesondere in der Kommunalplanung mitgedacht werden.

Sind die Teilnehmenden angekommen, sollten sie auch in der Lage sein, das Gebäude oder das Vereinsgelände zu betreten. Die Ausführungen von baulicher Barrierefreiheit würde den Rahmen dieses Praxishandbuchs sprengen. Daher sei stattdessen auf eine Checkliste für barrierefreie Sportstätten sowie einen umfassenden Katalog zu Barrierefreiheit bei Veranstaltungen verwiesen (Informationen für barrierefreie Veranstaltung, FIBS). Indem Sie bauliche Barrierefreiheit gewährleisten, stellen Sie sicher, dass alle Mitglieder und Teilnehmenden problemlos teilhaben können. Darüber hinaus ermöglichen Sie aber auch Zuschauer:innen, das Vereinsgelände aufzusuchen, beispielsweise für Feste oder Wettkämpfe.

Neben der baulichen Barrierefreiheit von Gebäuden ist auch auf den Brandschutz zu achten. Hierbei muss eine Nutzungserlaubnis für Rollstuhlnutzer:innen vorliegen. Sind Sporthallen alt und möglicherweise auch sanierungsbedürftig, liegt eine solche Erlaubnis unter Umständen nicht vor. Damit werden Rollstuhlnutzer:innen sowohl als Sportler:innen als auch als Zuschauer:innen ausgegrenzt, weil sie keinen Zugang zu diesen Hallen haben.

Räumlichkeiten umzubauen oder größere Anschaffungen vorzunehmen, kann teuer werden. Nutzen Sie Fördermöglichkeiten, wenn die Kosten andernfalls die Vereinskasse sprengen! Übersichten über solche Fördermöglichkeiten bieten beispielsweise der Deutsche Segler-Verband und der DOSB.

Fördermöglichkeiten für Vereine

https://www.dsv.org/segeln/inklusives-segeln/foerdermoeglichkeiten-fuer-vereine/

https://www.dosb.de/sonderseiten/news/news-detail/news/bundesfoerderprogramme-fuer-sportstaetten-1

Je nach Art Ihres Angebots unterscheidet sich, wie Sie die Inhalte barrierefrei gestalten.

Bei Bildungsangeboten etwa werden Sie verstärkt auf die Kommunikation achten, weil Sie Wissen vermitteln wollen. Auch die Methodenwahl ist hier von großer Bedeutung. Hinweise zu Methoden, die Sie auch auf Ihr Angebot übertragen können, finden Sie in diesem Dokument. Weitere Ideen zur Gestaltung von barrierefreien Bildungsangeboten können Sie dem Best Practice-Beispiel unter Kapitel 5.4.3 entnehmen.

Bei Sportangeboten sollten Sie selbstverständlich darauf achten, dass alle Teilnehmenden auch alle Bewegungsabfolgen ausführen oder die Übungen entsprechend abwandeln können. Dazu richten Sie Ihr Angebot entweder von vornherein inklusiv aus oder Sie geben Interessierten die Möglichkeit, bestimmte Bedarfe vorher anzumelden wie beispielsweise „einfache oder leichte Sprache“, „rollstuhl- bzw. rollatorgerechte Bewegungen“ oder „Übungen ohne Körperkontakt“.

Alle Hinweise zum Thema Barrierefreiheit können Sie grundsätzlich auch auf Einrichtungen der Gesundheitsversorgung übertragen. Dabei besteht in manchen Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Gesundheitsdiensten allerdings noch viel Potenzial für Barrierefreiheit. Eine Übersicht über zumindest rollstuhlgerechte Einrichtungen, darunter auch Arztpraxen, finden Sie auf der Wheelmap der Sozialheld:innen. Ein Praxishandbuch zur inklusiven Gesundheitsversorgung, die sich auch in der Ausbildung einsetzen lässt, finden Sie in der Schriftenreihe der Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (KSL) NRW 2 .

Wheelmap

https://wheelmap.org/

KSL.NRW

Vielfalt pflegen

https://bit.ly/3gfxLyf

BEST PRACTICE: SPORTARTEN KENNZEICHNEN

Wir haben das Ampelsystem übernommen“

Der Deutsche Behindertensportverband schreibt: „Grundsätzlich kann jeder Mensch jede Sportart betreiben, sofern es keine Bedenken aus medizinischer Sicht gibt. Trotz Anpassungen und Hilfsmitteln ist allerdings nicht jede Sportart gleichermaßen mit jeder Behinderungsart und -ausprägung geeignet.“ 3

Abbildung 10 Ampelsystem des DBS

„Wir haben dieses (Ampelsystem) vom DBS übernommen. Wenn Sportler:innen die Angebote in unserer Broschüre oder in der Onlineübersicht finden, wissen sie direkt, mit welcher Behinderung sie gut an bestimmten Angeboten teilnehmen können.“

Nils Brunner, Referent für Sport und Inklusion,Stadtsportbund Köln

Qualifiziert beraten

Beratung ist ein wichtiger Zugang zu Informationen – Informationen sowohl zur eigenen Lebenssituation als auch zu passenden Sport- oder Bildungsangeboten. Am Anfang dieses Praxishandbuchs konnten Sie bereits lesen, wie wichtig Peer-Beratung für selbstbestimmte Lebensführung ist. Doch auch andere Beratungsformen können wichtig sein, um sich über die bestehenden Möglichkeiten informieren zu können. Gute Beratung beinhaltet Wissensvermittlung und ist damit das Fundament für selbstbestimmte Entscheidungen.

Das Postulat der Selbstbestimmung beinhaltet auch, selbstbestimmt Beratung suchen zu können. Dafür braucht es eine enge Vernetzung der Beratungsangebote von Bund, Kommunen, freier Wohlfahrtspflege, Sozialversicherung, Selbsthilfe und vieler anderer Träger. Die Beratungsangebote müssen gegenseitig voneinander wissen. Sie sollten wissen, wer in der Region welche Expertise hat und wer auf welche Fragen Antworten geben kann. 4

KSL.NRW 2021a

Wichtig ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass die örtlichen Beratungsstellen die gesundheitsbezogenen Angebote im Sozialraum kennen und darauf verweisen können. Sind sie über die Angebote nicht im Detail informiert, sollten sie zumindest an andere Stellen weitervermitteln können. Es ist beispielsweise vorteilhaft, wenn die Beratungsstellen wissen, dass Stadt- und Kreissportbünde existieren und welche Aufgaben diese übernehmen. Bei entsprechenden Anfragen können sie dann an die Sportbünde verweisen, ohne selbst im Einzelnen die unterschiedlichen Sportvereine zu kennen. Die Mitarbeiter:innen der Beratungsstellen sind häufig auf einen oder mehrere Beratungsschwerpunkte spezialisiert, etwa Rechtsberatung oder psychologische Beratung. Im Idealfall würde aber das Thema Gesundheit übergeordnet behandelt, so dass alle Berater:innen ein Basiswissen hätten und sie wüssten, an wen sie gegebenenfalls weitervermitteln könnten.

Ebenso müssen die Beratungsangebote in den Wohneinrichtungen und bei den Bewohner:innen selbst bekannt sein. Nur so ist eine optimale Weiterleitung gewährleistet und nur so können Menschen sich gegebenenfalls auch eigenständig beraten lassen. Die Bewohner:innen sollten selbstständig oder mit Unterstützung schnell herausfinden können, an wen sie sich mit einem bestimmten Anliegen wenden können. Denkbar ist dazu eine Mappe mit den Adressen und Beratungsschwerpunkten, die in der Wohneinrichtung ausliegt, oder ein entsprechendes digitales Angebot. Für die Beratungsstellen wiederum ist es wichtig, mindestens Flyer in Leichter Sprache mit ihren Angeboten vorzuhalten und im besten Fall auch in den Wohneinrichtungen und Werkstätten zu verteilen.

Nicht alle Menschen verfügen jedoch über Lesefähigkeiten. Ein besonders niederschwelliger Ansatz ist daher entweder die persönliche Vorstellung der Beratungsangebote in den Einrichtungen oder sogar ein mobiles Beratungsangebot. Wie eine mobile Beratung konzipiert ist, hängt davon ab, in welcher Region Sie sich befinden, welche weiteren Beratungsstellen dort vorhanden sind und in welchen Einrichtungen Menschen mit Behinderung leben und arbeiten. Sie können zum Beispiel…

  • nur als Vertreter:in „Ihrer“ Beratungsstelle in die Einrichtungen fahren und dies als offenes oder termingebundenes Angebot bereitstellen.
  • in den Einrichtungen gemeinsam mit anderen Beratungsstellen ein Angebot gestalten und so eine größere Vielfalt anbieten.
  • mit etwas mehr Aufwand einen mobilen Beratungsbus einrichten und diesen Bus an strategischen Plätzen aufstellen oder damit zu den Einrichtungen fahren. So haben Sie jederzeit einen vertraulichen Beratungsraum verfügbar.

Selbstverständlich muss qualifizierte Beratung für Menschen mit Lernschwierigkeiten in angemessener Form erfolgen. Insbesondere jene Beratungsstellen, die ausschließlich für Menschen mit Lernschwierigkeiten eingerichtet wurden, sollten mindestens Leichte Sprache und gegebenenfalls Unterstützte Kommunikation einsetzen.

Und auch der Zugang zur Beratung muss gewährleistet sein. Für viele Menschen bedeutet das Zugang zum Internet zu haben, ein entsprechendes Endgerät nutzen zu können, aber auch geschult zu sein im Umgang mit digitalen Geräten. Halten Sie den Internetauftritt Ihrer Beratungsstelle möglichst aktuell und übersichtlich. Zu viele Links können frustrierend wirken. Und wie bei anderen Inhalten gilt auch in diesem Fall: Stellen Sie eine Version der Homepage in Leichter Sprache und mit Vorlesefunktion zur Verfügung.

KSL.NRW

Kooperation statt Konkurrenz

Versuchen Sie ebenfalls, Zuständigkeiten deutlich zu machen. Welche Themen deckt die Beratungsstelle ab? Wer ist die geeignete Ansprechperson? Welche Bedarfe zur Barrierefreiheit beachten Sie? Wo lassen sich weitere Beratungsstellen finden? Wenn Sie selbst in einer Beratungsstelle tätig sind und sich stärker mit anderen Beratungsstellen der Region vernetzen möchten, kann Ihnen die Broschüre „Kooperation statt Konkurrenz“ weiterhelfen. In dieser Broschüre haben die KSL.NRW Hinweise zusammengetragen, die sich auf Beratungsstellen in Nordrhein-Westfalen beziehen. Grundlegende Hinweise sind aber sicherlich auch auf andere Bundesländer übertragbar.

https://www.ksl-nrw.de/de/node/4219

Ernährungsberatung gehört ebenfalls zu den Beratungsleistungen. Hier kann eine erste Hürde sein, überhaupt passende Beratungsangebote zu finden – denn für viele Menschen mit Lernschwierigkeiten ist nur eine Beratung in einfacher oder leichter Sprache oder mit Unterstützter Kommunikation sinnvoll. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) beispielsweise hält auf ihrer Homepage eine Übersicht zertifizierter Ernährungsberater:innen bereit. Darüber lassen sich Berater:innen finden, die auch einfache Sprache anbieten (Beratungsstellen). In jedem Fall sollte vorher mit der zuständigen Krankenkasse geklärt werden, inwieweit sie die Ernährungsberatung als präventive Gesundheitsversorgung anerkennt und bezuschusst (Finanzierung sicherstellen).

Neben diesen eher klassischen Beratungsleistungen ist im Kontext dieses Praxishandbuchs auch eine Art Beratung durch die Sportbünde oder Sportvereine denkbar. Denn: Nur wer das Angebot kennt, kann auch daraus wählen! Hier sind einige Vorschläge:

  • Stellen Sie Sportarten visualisiert dar. Nutzen Sie für Flyer und Broschüren Fotos, für Ihre Homepage vielleicht sogar kleine Videos. Rein textbasierte Informationen sind für Menschen mit Lernschwierigkeiten oft schwer zu verstehen – und damit auch schwer vorzustellen.
  • Vereinbaren Sie Termine, an denen Vertreter:innen des Sportvereins in die Wohneinrichtungen gehen und dort ihr (inklusives) Angebot vorstellen. Werden Sie dabei praktisch und lassen Sie die Interessierten nach Möglichkeit einige Sportarten vor Ort ausprobieren.
  • In Ihrem Verein gibt es eine:n Expert:in für inklusiven Sport? Nehmen Sie diese Person unbedingt mit. Sie kann möglicherweise direkt aufzeigen, wie einzelne Sportarten so angepasst werden können, dass möglichst alle sie ausführen können.

Digitalisierung nutzen

Wenn in passenden Apps (Eine App für Alle(s)) Informationen abgerufen werden können, ist eine Beratung auch über digitale Tools denkbar. Dazu benötigen Sie sowohl eine WLAN-Infrastruktur als auch die nötigen Endgeräte. Nicht alle Menschen sind jedoch in der Lage, selbstständig an digitalen Angeboten teilzunehmen. Die Begleitung und Unterstützung müsste in diesen Fällen intensiver sein, als es die Ressourcen zulassen. Hinzu kommt, dass unter Umständen eine Kommunikation über digitale Medien erschwert sein kann, etwa wenn Menschen hörbeeinträchtigt sind oder nur über wenig Lautsprache verfügen.

Mit der entsprechenden Infrastruktur ist eine Nutzung digitaler Angebote dennoch häufig möglich. So fanden insbesondere während der Pandemie viele Sportkurse online statt. Diese Angebote ersetzen den persönlichen Kontakt zwar nicht, können aber in einigen Fällen durchaus den Zugang erleichtern, weil beispielsweise Wegstrecken und Anfahrtszeiten entfallen und dadurch auch Menschen erreicht werden können, die nicht in unmittelbarer Nähe zum Anbieter wohnen. Auch der Zugang zu allgemein verfügbaren Videos kann über die Teilhabe am digitalen Leben geöffnet werden, so dass zum Beispiel Yoga-Einheiten oder andere Sportvideos bei YouTube genutzt werden können. Es besteht aber nach wie vor das Problem, dass kaum Videos in Leichter Sprache existieren.

App: Lebensmittel

SOVI (SonicView)

https://sonicview.de

(Bisher nur im App-Store erhältlich, an einer Android-Version wird laut Entwicklerin gearbeitet)

Digitale Angebote können insbesondere in Form von Apps auch im Alltag unterstützen. So existieren bereits Apps, die im Supermarkt Lebensmittel scannen und Inhaltsstoffe anzeigen können. Auch in diesem Bereich ist jedoch bisher keine App bekannt, die Inhalte auch in Leichter Sprache zur Verfügung stellt. Eine Alternative kann die App SOVI darstellen, die in Deutschland vorrangig für blinde Menschen entwickelt wurde. Ein Vorteil der App ist, dass sich individuelle Profile anlegen lassen, die von der App während des Einkaufs beachtet werden. So wird es beispielsweise leichter möglich auf einen Inhaltsstoff zu verzichten, da die App nach dem Scannen des Barcodes das Lebensmittel entsprechend einordnet und kennzeichnet.

Für den Fitness- und Sportbereich existiert bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Apps, allerdings ebenfalls keine in Leichter Sprache. Wenn Bewohner:innen Interesse an einer bestimmten App bekunden, dann schauen Sie gemeinsam nach passenden Anwendungen. Viele jüngere Menschen mit Lernschwierigkeiten sind ebenso mit Smartphones aufgewachsen wie ihre nicht behinderten Peers, so dass sie sich gegebenenfalls auch in Apps ohne Leichte Sprache zurechtfinden. Im Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“ wurden beispielsweise Schrittzähler eingesetzt. Einige Teilnehmer:innen nutzten dazu die vom Projekt zur Verfügung gestellten Gadgets, während vor allem die jüngeren sich lieber eine App installierten. Die Teilnehmer:innen konnten so überprüfen, wie viele Schritte sie am Tag gehen. Sollten Sie Bewohner:innen ebenfalls Schrittzähler anbieten wollen, dann beachten Sie, dass die gelaufenen Schritte dort nur in Zahlen angezeigt werden. Apps oder Smartwatches hingegen übersetzen die Zahlen häufig zusätzlich in Symbole oder Töne, etwa wenn das Tagesziel erreicht wurde.

App: Arbeitsabläufe und Checklisten

InA. Coach

https://ina.coach/

Eine App für alle, die auch Menschen mit Lernschwierigkeiten im Alltag unterstützen kann, ist InA.Coach. In der App gibt es die Möglichkeit, Anleitungen für Arbeitsabläufe zu erstellen und zusätzlich Timer, Checklisten und Überprüfungsfunktionen zu nutzen. In erster Linie für die Unterstützung im Berufsalltag entwickelt, lassen sich die Funktionen sicher auch auf andere Bereiche übertragen – wie kocht man Spaghetti Bolognese, wie nimmt man Kontakt zum Sportverein auf, wie führt man das Fitnessprogramm zu Hause durch? Zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar.

App: Navigation

BlindSquare

https://www.blindsquare.com/de/

Denkbar ist ebenfalls, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten auch Navigationssysteme nutzen, um beispielsweise zum Sportverein oder zur Volkshochschule zu gehen. Hier bieten sich gegebenenfalls Navigationssysteme an, die für blinde Menschen entwickelt wurden. Im Vergleich zu etwa Google Maps haben diese Apps den Vorteil, dass sie explizit für Gehwege ausgelegt sind. Die Strecken werden daher möglichst abseits von großen Hauptverkehrsstraßen geplant, und auch die Überquerung von großen Ampelkreuzungen wird in einigen Apps optimiert. Die Apps begleiten den Weg mit lautsprachlichen Anweisungen.

Wenn Sie die nötigen Ideen und Ressourcen haben, wollen Sie vielleicht auch eine eigene trägerinterne App im Bereich Gesundheit entwickeln (lassen) (Eine App für Alle(s)).

Die Voraussetzungen für alle Apps sind gleichermaßen, dass ein Endgerät vorhanden ist und die Person dieses Gerät auch in Grundzügen bedienen kann. Daher wird ein großer Teil Ihrer Reise in Richtung Digitalisierung auch Assistenz und Schulungen umfassen. Sie sollten zumindest die Basisinformationen vermitteln, wie die Geräte funktionieren, was man im Internet machen kann und worauf man besonders achten muss, zum Beispiel in Bezug auf Datenschutz und Privatsphäre.

Vorhandene Endgeräte können auch kreativ eingesetzt werden, um beispielsweise eigene Videos zu drehen. Bei Bewegungsangeboten können diese Clips als Motivation und Feedbackmöglichkeit dienen. Mit ausreichend Zeit und Einsatz aller Beteiligten wäre es zudem möglich, dass die Bewohner:innen selbst kleine Infofilme aufnehmen und so Peer-Aufklärung per Video betreiben.

Angebote initiieren

In den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung existieren noch immer zu wenig Sport- und Bildungsangebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Strukturelle Veränderungen sind hier dringend nötig. Dabei kommt externen Anbietern eine zentrale Rolle zu. Doch auch die Initiative der Wohneinrichtungen stellt eine Möglichkeit dar, neue Angebote anzuregen. Beide Perspektiven werden im Folgenden besprochen. Die Hinweise zu den unterschiedlichen Angebotsarten richten sich in erster Linie an Verantwortliche in den Wohneinrichtungen. Die Lektüre dieser Hinweise kann aber auch für externe Anbieter aufschlussreich sein. Abschließend folgen einige Anmerkungen für externe Anbieter. Damit sind alle Anbieter von Sport-, Bildungs- und Gesundheitsangeboten im weitesten Sinne gemeint.

Mindestens fünf verschiedene Angebotsarten lassen sich unterscheiden:

  • Die exklusiven externen Angebote: Behindertensportgruppen im örtlichen Sportverein oder Weiterbildungskurse, die sich speziell an Menschen mit Lernschwierigkeiten richten.
    Solche Angebote anzustoßen kann mitunter recht leicht sein. Alles, was Sie dazu brauchen, sind ein geeigneter Ort und eine Person, die sich auf Menschen mit Lernschwierigkeiten einlassen kann. Wenn sogar die Wohneinrichtung selbst den:die Trainer:in stellt, müssen Sie mit dem Fußballverein „nur noch“ über den Platz verhandeln.
  • Die exklusiven internen Angebote: Einrichtungsinterne Angebote, die entweder nur für die Wohneinrichtung oder für den gesamten Träger angeboten werden.Große Träger haben ein umfangreiches Angebot an Sport-, Kunst- oder Weiterbildungskursen, die auf die Bewohner:innen der Wohneinrichtungen ausgerichtet sind. Wenn Sie selbst neue Angebote entwickeln wollen, dann gestalten Sie den Prozess möglichst partizipativ. So stellen Sie sicher, dass die Angebote den Interessen der Bewohner:innen entsprechen. Dazu können Sie zum Beispiel zunächst einen partizipativen Workshop durchführen, Bedarfe sammeln und Ideen generieren; in einem zweiten Schritt sind Expert:innen zu engagieren, die daraus konkrete Angebote entwickeln; und zuletzt sollte dieses neue Angebot mit im Träger bereits vorhandenen Angeboten gekoppelt werden, um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Schon ein Lauftreff kann solch ein exklusives internes Angebot sein.
    • Die exklusiven internen, aber extern geführten Angebote: Angebote, die externe Anbieter in den Wohneinrichtungen realisieren.Dazu sind Kooperationen mit verschiedenen Anbietern möglich, etwa mit Sportvereinen oder Familienbildungsstätten. Wenn die Angebote auf dem Gelände des Trägers oder der Wohneinrichtung stattfinden, müssen die Bewohner:innen sich nur innerhalb des Geländes bewegen, um zu ihrem Kurs zu gelangen. Dadurch werden die Probleme minimiert, die für externe Angebote (oftmals) hinsichtlich des Transports entstehen.Diese Angebote sind nicht inklusiv, sondern exklusiv für Menschen mit Behinderung geschaffen. Die Bewohner:innen kommen entweder gar nicht mit anderen, nicht behinderten Menschen in Kontakt oder haben nur wenige Anknüpfungspunkte beispielsweise zum restlichen Vereinsleben. Exklusive Angebote können sinnvoll sein und werden von einigen Menschen mit Behinderung auch explizit gewünscht. Andererseits wird so vermieden mangelnde Teilhabe und fehlende Barrierefreiheit aufzuzeigen und den chancengerechten Zugang zu Angeboten zu schaffen. Dadurch besteht weiterhin nur wenig Druck, die Umwelt an alle Menschen anzupassen (Barrierefreiheit ausbauen)
  • Die inklusiven internen Angebote: Angebote der Wohneinrichtungen oder Träger, die auch für externe Teilnehmer:innen offen sind.Menschen mit Lernschwierigkeiten werden im Sportkontext noch immer in einem tradierten Muster wahrgenommen. In vielen Einrichtungen bestimmen daher Walken, Kegeln und Schwimmen das Sportangebot. Möglicherweise – so empfinden es zumindest einige der beteiligten Stakeholder:innen – setzen sich jedoch auch bei Menschen mit Behinderung sogenannte Trendsportarten stärker durch. Denkbar ist daher, dass die Wohneinrichtungen selbst Trendsportarten als offenes Angebot etablieren – oder zumindest den Ort zur Verfügung stellen, damit der unkonventionelle Charakter erhalten bleibt. So können sich Menschen mit und ohne Behinderung im Rahmen einer Sportart begegnen. Im Idealfall kommen andere Teilnehmende, weil das Angebot „cool“ genug ist – und nicht, um sich sozial zu engagieren. Für weitere Ideen, wie Sie auch Menschen ohne Behinderung für die inklusiven Kurse der Wohneinrichtung gewinnen können, lesen Sie das Best Practice-Beispiel unter Fachliche Expertise nutzen
  • Die inklusiven externen Angebote: Reguläre Angebote der Sportvereine und Bildungsträger, die allen Menschen offenstehen.Diese Angebote spielen aus inklusiver Perspektive eine besonders wichtige Rolle. Wenn Sie als Wohneinrichtung solche Angebote initiieren möchten, sollten Sie mit den zuständigen Anbietern Kontakt aufnehmen. Haben Bewohner:innen beispielsweise Interesse an einer bestimmten Sportart, kann in einem ersten Schritt bei den örtlichen Sportvereinen nachgefragt werden. Vielleicht ist es sogar problemlos möglich, dass Menschen mit Behinderung an den regulären Angeboten teilnehmen können – nur wirbt der Verein nicht explizit damit.Möglicherweise blocken die Verantwortlichen beim Sportverein Ihre Anfrage zunächst ab oder geben an, dass keine Angebote bestehen, die sich speziell an Menschen mit Behinderung richten. Dann sollten Sie darauf hinweisen, dass die Bewohner:innen weniger an speziellen Kursen interessiert sind, sondern gerne an den regulären Angeboten teilnehmen möchten. Für diese Auseinandersetzung existiert leider keine pauschale Lösung. Statt einer Schritt-für-Schritt-Anleitung finden Sie hier Anregungen, die Sie ermutigen sollen, in Kontakt zu bleiben.
    • Die Bereitschaft von Sportvereinen, ihre Angebote auch für Menschen mit Behinderung zu öffnen, fällt sehr unterschiedlich aus. Die Erfahrungen der beteiligten Stakeholder:innen im Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“ zeigten, dass viele Vereine durchaus bereit sind, ihre Angebote zu öffnen. Sie haben jedoch Bedenken bei bestimmten Fragen und wünschen sich oftmals eine Begleitung, um alles richtig zu machen. Deutlich wurde aber auch, dass Interessierte auf die Vereine zugehen und kundtun müssen, dass sie gerne teilnehmen würden: Viele Vereine sind aufgeschlossen, kommen aber von sich eher selten auf die Idee, inklusive Angebote zu schaffen.
    • Starten Sie daher so simpel wie möglich: Verabreden Sie ein persönliches Gespräch. Überlegen Sie, ob Sie im Verein direkt den Vorstand ansprechen oder ob Sie sich zunächst mit einem:einer Trainer:in treffen. Planen Sie auch, welche Person aus der Wohneinrichtung teilnimmt – Fachkraft, Einrichtungsleitung, Geschäftsführung? Diese Entscheidung wird davon abhängig sein, wie groß die Strukturen der Wohneinrichtung sind, welche Beziehung zwischen Fachkräften und Leitung besteht und welche Personen sich besonders für den Zugang zu Angeboten außerhalb der Einrichtung engagieren. Auch die Bewohner:innen, die sich die Teilhabe im Sportverein wünschen, sollten beteiligt werden. Nutzen Sie dieses Gespräch, um sich gegenseitig kennenzulernen, das Anliegen umfassend zu schildern und mögliche Lösungen zu finden. Im besten Fall können die Vertreter:innen des Sportvereins konkrete Bedenken oder Hindernisse nennen, die Sie gemeinsam aus dem Weg räumen können.
    • Bieten Sie grundsätzlich Unterstützung an im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen. Schaffen Sie eine Atmosphäre, in der freundliche und offene Kommunikation möglich ist. Viele nicht behinderte Menschen haben wenig bis keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung und sind vielleicht etwas gehemmt (Berührungsängste abbauen). Für sie sollte es möglich sein, alle Fragen zu klären, die sie bisher davon abgehalten haben, inklusive Angebote zu schaffen: Was muss beachtet werden? Wie ist das mit der Assistenz? Wo könnte man Rollstühle leihen?
    • Anstatt ganz konkret mit einem Sportverein ins Gespräch zu gehen, können Sie auch eine größere Kampagne zur Vernetzung starten. Laden Sie örtliche Sportvereine beispielsweise zum Sommerfest, zum Tag der offenen Tür oder zu einer anderen passenden Veranstaltung ein. Stellen Sie sicher, dass die Eingeladenen sich willkommen und angesprochen fühlen. Am besten legen Sie eine oder mehrere Personen fest, die aktiv auf die Vertreter:innen der Angebote zugehen und diese auch untereinander vernetzen. Bieten Sie Programmpunkte an, die sich gezielt auf die Angebotsinhalte beziehen, beispielsweise Rollstuhlbasketball oder Tennis für alle. Laden Sie die Vertreter:innen ein zuzusehen oder selbst mitzumachen. So wird gleich eine Hemmschwelle abgebaut. Gleichzeitig können sie Beispiele für inklusiven Sport greifbar erleben. Eine andere Möglichkeit ist es, bereits für eine solche Veranstaltung mit externen Anbietern zu kooperieren. Dazu können Sie neben der Einladung zum Fest auch die Anfrage aussprechen, ob der Sportverein ein eigenes Angebot präsentieren möchte, welches Sie vorher gemeinsam entsprechend den Bedürfnissen aller Beteiligten anpassen.
    • In einigen Situationen fokussieren sich die Bemühungen vielleicht eher darauf, die Bewohner:innen überhaupt mit den Sportvereinen in Kontakt zu bringen. Dazu könnten die Sportvereine beispielsweise ihre Angebote direkt in der Wohneinrichtung vorstellen. Je nach Expertise kann es hilfreich sein, begleitend aufzuzeigen, wie Sportarten an die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst werden können. Sollte in den Sportvereinen das Wissen dazu fehlen, könnten Sie gegebenenfalls zusätzlich eine:n andere:n Expert:in einladen, etwa eine:n Vertreter:in des Sportbundes oder eine andere Person, die sich mit Sportarten für alle auskennt. So wird aus der Vorstellung zugleich eine Weiterbildung für die Sportvereine. Reicht eine einmalige Veranstaltung? Wollen Sie dieses Angebot als monatliches Abendprogramm etablieren? Entscheiden Sie individuell und bedarfsgerecht, wo, wie, wann und wie häufig Sie solche Veranstaltungen durchführen.
    • Viele inklusive Sportarten erwecken den Eindruck, lediglich Abwandlungen von bekannten Sportarten zu sein. Rollstuhltischtennis, Rollstuhlrugby, Rollstuhlbasketball oder Handbikefahren – um nur einige Beispiele zu nennen – sind jedoch eigenständige Sportarten. Sie bieten sich auch für nicht behinderte Sportler:innen an und halten aufgrund ihrer Komplexität ganz neue Erfahrungen bereit. So müssen sich Menschen, die im Alltag keinen Rollstuhl nutzen, mit der Bedienung des Rollstuhls vertraut machen und mehrere (bisher unbekannte) Bewegungsmuster in einer Sportart integrieren.

Tischtennis im Rollstuhl ist einfach eine komplett andere Sportart. Und darum sollen das halt einfach auch Nichtbehinderte spielen, damit die einfach Spaß haben, diese komplexe Aufgabe von Rollstuhlbewegung und Handbewegung zu erlernen.

Stakeholder:in (SH11_TI1, Pos. 210-215)

Möglicherweise kann sich ein Sportverein mit diesen Argumenten überzeugen lassen, auch neuere Sportarten ins Programm aufzunehmen.

  • Besonders hilfreich kann es sein, wenn Sie selbst bereits enge Kontakte im Verein haben. Entweder sind Sie bereits langjähriges Vereinsmitglied oder haben Freund:innen oder Bekannte, die ihrerseits über entsprechende Kontakte verfügen. Setzen Sie mit Ihrem Anliegen auf eine Person, die innerhalb des Vereins gut vernetzt ist und sich dafür begeistern lässt, neue Angebote umzusetzen. Eine gute und einigermaßen vertraute Beziehung trägt ebenfalls zum Gelingen bei: Auf dieser Basis können die Verantwortlichen auch offen über ihre Sorgen sprechen.
  • Zeigt sich der Sportverein nur mäßig engagiert, können Sie den zuständigen Kreis- oder Stadtsportbund mit ins Boot holen. Die Sportbünde sind die freiwilligen Zusammenschlüsse der Sportvereine und besitzen dadurch eine gute Übersicht über die regionalen Strukturen. Einige Sportbünde beschäftigen Mitarbeiter:innen, die sich vorrangig mit dem Thema Inklusion befassen. Ist dies bei Ihrem zuständigen Sportbund nicht der Fall, wenden Sie sich stattdessen an die Person, die Ihrem Anliegen am nächsten ist. Dazu kann es hilfreich sein, konkrete Anfragen zu stellen, statt sich pauschal nach inklusiven Angeboten zu erkundigen. Konkrete Anfragen verdeutlichen, dass zwar ein Bedarf besteht, entsprechende Angebote aber noch fehlen. Daher sollten mehr Menschen mit Behinderung ihre Anliegen äußern und den Vereinen so die Möglichkeit geben, auf die Anfragen und Bedarfe zu reagieren. Mit dem Sportbund im Hintergrund kann es für die Vereine leichter sein, entsprechende Unterstützung zu erhalten (Anbieter unterstützen).
  • Überlegen Sie, in welchen Formaten Sie darüber hinaus mit Ihrem zuständigen Sportbund kooperieren können. Denkbar wären die bereits angesprochenen Infoveranstaltungen zu unterschiedlichen Sportangeboten, aber auch Workshops, in denen Sie die Ideen der Bewohner:innen sammeln. So können auch gänzlich neue Angebote entstehen.
  • Schließen Sie sich mit anderen Wohneinrichtungen zusammen. So können die Bewohner:innen ihre Anliegen bündeln und sich gemeinsam darüber mit den Sportbünden austauschen.
  • Die vorgenannten Hinweise beziehen sich auf den organisierten Sport.5 Doch auch mit privatwirtschaftlichen Anbietern können Sie Kontakt suchen. Der Urban Sports Club etwa bietet Mitgliedern den Zugang zu verschiedenen Sportangeboten. Für einen monatlichen Beitrag können Fitness- und Yogastudios, Schwimmbäder, Kletterhallen und weitere Sportstätten besucht werden. Fragen Sie nach, wie gut sich die Angebote auch für Menschen mit Behinderung eignen. Möglicherweise ist der Urban Sports Club ein attraktives Angebot für Bewohner:innen, die gerne verschiedene Sportarten ausprobieren möchten.

Diese Anregungen sind bewusst vorsichtig formuliert. Menschen die Teilhabe an Sport, Bildung und Kultur zu versagen ist ein Verstoß gegen Menschenrechte. Inklusion und Barrierefreiheit sind keine gute Tat, kein Gefallen und auch kein Projekt aus Herzensgüte. Sie sind gesetzlich verankert und damit verpflichtend, für alle. Dieses Recht vehement durchzusetzen ist unbestreitbar wichtig. Dennoch kann es ratsam sein, auf Kooperation statt Konfrontation zu setzen. Denn Menschen möchten sich in ihrem Sportverein, ihrem Fitnessstudio, beim Schwimmkurs und in der Volkshochschule gleichermaßen willkommen und angenommen fühlen. Ihr Recht auf Teilhabe mit der sprichwörtlichen Brechstange durchsetzen zu wollen, kann diesem Ziel möglicherweise entgegenwirken.

Als Verantwortliche:r in einer Sport- oder Bildungseinrichtung können die folgenden Anregungen für Sie von besonderem Interesse sein. Als Vertreter:innen der Wohneinrichtungen können Sie ebenfalls einige nützliche Hinweise erhalten, da auch Vernetzung und Kooperation angesprochen werden.

Index für Inklusion im und durch Sport

https://www.dbs-npc.de/sport-index-fuer-inklusion.html

Wer als Vertreter:in einer Wohneinrichtung ein inklusives Angebot initiieren möchte, findet keine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Anders verhält es sich jedoch, wenn Sie als Sportverein auf der Suche nach einer Anleitung für inklusive Vereinsentwicklung sind: Der Deutsche Behindertensportverband hat 2014 einen Index für Inklusion im und durch Sport 6 herausgegeben. In diesem Index finden Sie Fragenkataloge und Handlungsmöglichkeiten, um einen inklusiven Entwicklungsprozess zu starten. Der zugegebenermaßen recht umfangreiche Index mag zunächst einschüchtern. Alle Fragen lassen sich aber mühelos an die eigenen regionalen Umstände anpassen, so dass der Index eine hilfreiche Grundlage für Ihren Prozess sein kann.

Drei Bereiche werden miteinander verbunden: A. „Inklusive Kulturen schaffen“, B. „Inklusive Strukturen etablieren“ und C. „Inklusive Praktiken entwickeln“. „Inklusive Kulturen schaffen“ ist dabei bewusst als Basis des Dreiecks gewählt. Denn eine sogenannte Willkommenskultur führt dazu, dass sich alle Menschen als gleichermaßen wertgeschätztes Mitglied erleben. Der Index gibt jedoch keine Reihenfolge vor. Sie können den Prozess daher auch im Bereich „Inklusive Praktiken entwickeln“ starten, wenn Sie schnellstmöglich ein inklusives Angebot schaffen möchten.

Abbildung 11 Die drei Bereiche des Fragenkatalogs[* Deutscher Behindertensportverband 2014, S. 36]

Als Sportverein sind Sie möglicherweise auch an größeren Aktionen beteiligt. Viele Kommunen bieten im Sommer „Sport im Park“ an. Dabei handelt es sich um ein offenes Angebot, das zum Ausprobieren verschiedener Sportarten einlädt. Sie können sich also einerseits einem bereits bestehenden Angebot anschließen oder sich mit anderen Vereinen zusammentun, um ein solches Programm neu zu gestalten. Und wenn Sie schon Teil der Aktion sind: Bedenken Sie die Barrierefreiheit! Wo machen Sie Werbung? Wenden sich Angebote explizit auch an Menschen mit Behinderung? Können Rollstuhlnutzer:innen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten problemlos ohne vorherige Anmeldung teilnehmen? Haben Sie eine Ansprechperson für Barrierefreiheit angegeben? Sind Rollstuhlbasketball oder Blindenfußball Teil des Angebots? Sind mindestens einige Übungsleiter:innen im Bereich Inklusion geschult? Achten Sie auf einfache Sprache? Halten Sie die Hemmschwelle gering und geben Sie ausreichend Informationen, damit möglichst viele Menschen „Sport im Park“ erleben können. Mehrere dieser Rahmenbedingungen erleichtern auch Eltern, älteren Menschen oder Menschen mit Sprachbarrieren die Teilnahme.

Eine ähnliche Aktion ist „Kölle aktiv“. Bei diesem Sommerangebot haben alle Kölner Sportvereine die Möglichkeit, ihre Sportangebote im Outdoor-Bereich zu präsentieren. Der Stadtsportbund Köln hat im Jahr 2021 explizit auch Menschen mit Behinderung einbezogen und die ausgeschriebenen Sportangebote mit dem Ampelsystem des DSB versehen. Solche Aktionen können zudem bei den teilnehmenden Vereinen bewusstseinsbildend wirken: Möglicherweise wird ein Verein auf das fehlende Angebot aufmerksam und nimmt sich vor, inklusive Sportangebote neu zu schaffen und explizit zu bewerben.

Anbieter unterstützen

Wenn Sportvereine neue Angebote schaffen möchten, die inklusiv sind oder sich explizit an Menschen mit Behinderung richten, können sie verschiedenen Herausforderungen begegnen. Mit ihren Fragen sollten sie sich an den zuständigen Sportbund wenden können. Die Kreis- und Stadtsportbünde müssen daher zu den Themen Behinderung, Inklusion und Barrierefreiheit fachlich gut aufgestellt sein. Die Unterstützung durch den Sportbund wird dabei individuell ausfallen.

Als Verantwortliche:r beim Sportbund könnten Sie…

  • zunächst einmal alle Mitgliedsvereine anschreiben und Unterstützung anbieten. Manchmal bedarf es einer solchen Erinnerung, um Menschen zu motivieren.
  • persönlich Kontakt aufnehmen. Dieser Schritt ist selbstverständlich abhängig von der Region. In einer Stadt mit über 600 Mitgliedsvereinen werden Sie kaum zum Telefonhörer greifen oder sich auf Ihr Fahrrad schwingen, um mit allen persönlich zu sprechen.
  • eine Umfrage unter den Mitgliedsvereinen durchführen und erheben, welche Schwierigkeiten sie auf dem Weg zu inklusiven Angeboten wahrnehmen und welche Unterstützungsmöglichkeiten sie sich wünschen. So können Sie die Begleitung der Vereine noch passender ausrichten.
  • einen Informationstag zum Thema planen und diesen möglichst attraktiv gestalten, zum Beispiel gleichzeitig als Vernetzungsbörse und/oder als Ideenwerkstatt.
  • gemeinsame Projekte anregen und umsetzen.
  • Partnerschaften anregen und begleiten.

Sportvereine scheinen mitunter auch eine Ansprechperson für ganz konkrete Fragen zu benötigen: Wo finden sie Trainer:innen für eine bestimmte Sportart? Wo erhalten sie weitere Rollstühle, die sich die Sportler:innen bei Bedarf leihen können? Wie sollen sie das Angebot bei der Zielgruppe bewerben? Was ist im Bereich der Barrierefreiheit zu beachten? Diese Ansprechperson kann bei den Sportbünden arbeiten, in den Wohneinrichtungen tätig sein oder eine andere Funktion bekleiden: Wichtig ist, dass sie sich in sportbezogenen Fragen auskennt und auch in der Lage ist, Trainer:innen oder Assistenzpersonen zu vermitteln. Die Person sollte eine vertrauensvolle Umgebung schaffen, in der alle Fragen gestellt werden dürfen. Wenn Verantwortliche Sorge haben, beim Versicherungs- oder Brandschutz Fehler zu machen oder diskriminierend zu handeln, dann kann diese Sorge lähmen und davon abhalten, überhaupt zu handeln.

(…) dass da eher so die Angst war (…), also ich versuche es mal ganz flach zu formulieren: „Wir können ja nicht laut sagen, dass wir Angst davor haben, dass wir irgendwas hier falsch machen, wenn es um Menschen mit Behinderung geht. Dann stehen wir nachher in der Presse und man pinkelt uns ans Bein.“

Stakeholder:in (SH11_TI1, Pos. 299-301)

Für die Vereine kann es zudem hilfreich sein, im Vorfeld zu wissen, welche Personen mit welcher Beeinträchtigung kommen. In diesem Fall kann zum Beispiel der örtliche Kreis- oder Stadtsportbund konkret vermitteln, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen.

Eine besonders handfeste Möglichkeit, Anbieter bei Inklusion und Barrierefreiheit zu unterstützen, ist finanzieller Art. Viele Vereine wären vielleicht bereit, Inklusion voranzubringen – doch gerade bei kleineren Vereinen fehlt es oftmals am Geld, um zum Beispiel die Übungsleiter:innen entsprechend zu qualifizieren.

Berührungsängste abbauen

Seit Jahrzehnten leben viele Menschen mit Behinderung in sogenannten Sonderwelten: Sie besuchen zunächst Kindergärten für behinderte Kinder und später Förderschulen, arbeiten danach in Werkstätten für behinderte Menschen und leben in pädagogisch betreuten Wohneinrichtungen. Kontakt zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen findet dadurch nur selten statt.

Also das ist dieses typische Bild: (…) Der Mensch ist nicht behindert, sondern er wird behindert. Das ist so dieses, was diese bisherige auch Art der Wohnformen, diese ganze Exklusivität, die wir einfach haben über die Jahrzehnte, die dazu geführt haben, dass so die meisten Menschen viel zu wenig direkten Kontakt mit unserem Personenkreis hatten.

Stakeholder:in (SH2_TI3, Pos. 35)

So entstehen Vorurteile und Berührungsängste. Um Menschen mit Behinderung den Zugang zu allgemeinen Angeboten zu ermöglichen, müssen nicht behinderte Menschen jedoch mit ihnen in Kontakt treten. Neben der großen gesellschaftlichen und politischen Arena können Sie auch an kleinen Stellschrauben drehen, um die Scheu anderer Menschen gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten zu verringern.

  • Wohneinrichtungen: Vereinbaren Sie ein Treffen, damit sich Anbieter und interessierte Bewohner:innen kennenlernen können. Besprechen Sie, was die Bewohner:innen bräuchten, um am angestrebten Programm teilzunehmen. Assistenz konkret beim Namen zu nennen und das Gefühl zu haben, darüber auch sprechen zu „dürfen“, kann schon viel Unsicherheit nehmen.
  • Wohneinrichtungen und Sportbünde: Stellen Sie eine Ansprechperson zur Verfügung (Anbieter unterstützen). Denn eine Person mit Knowhow um Rat fragen zu können, kann bereits eine Hilfe sein, um vorhandenen Sorgen zu begegnen.
  • Alle, die entsprechende Expertise und Kapazitäten haben: Bieten Sie Qualifizierungen für Übungsleiter:innen an und bewerben Sie diese nachdrücklich. Wenn Übungsleiter:innen offen über Vorurteile sprechen und erleben, wie sich inklusive Angebote gut gestalten lassen, können sich ihre möglichen Bedenken erheblich verringern. Stehen vermehrt inklusiv arbeitende Übungsleiter:innen zur Verfügung, könnten auch die Sportvereine überzeugt werden, inklusive Angebote in den Regelbetrieb zu übernehmen.
  • Bewusstseinsbildung im Rahmen von Veranstaltungen kann ebenfalls dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen oder zumindest einmal den Kontakt zuzulassen. Planen Sie inklusive Sportevents, auf denen Menschen gemeinsame Erfahrungen machen können. Schaffen Sie Begegnungsräume für Menschen. Kooperieren Sie dazu am besten mit anderen Organisationen.

Das merkt man immer wieder auch in Gesprächen mit Vereinen, dass einfach sehr viel Unwissenheit und Unklarheit besteht, was so Sport von Menschen mit Behinderung angeht oder generell über die Alltagswelt von Menschen mit Behinderung. Und das liegt meiner Meinung nach hauptsächlich daran, dass die Lebenswelten so voneinander getrennt sind. Und ich glaube, dass wir viele Schwierigkeiten gar nicht hätten, wenn es einfach viel mehr Begegnungsräume geben würde.

Stakeholder:in (SH10_TI1, Pos. 69)

Sozialraum erkunden

Die Trennung der unterschiedlichen Lebenswelten kann einerseits dazu führen, dass nicht behinderte Menschen Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung entwickeln. Andererseits kann sie dazu beitragen, dass sich Menschen, die über viele Jahre in Wohneinrichtungen leben, ihrerseits von der allgemeinen Lebenswelt entfremden: Sie sind schon so lange räumlich und sozial von ihrer Umgebung distanziert, dass sie sich ein Leben außerhalb der Behindertenhilfe gar nicht mehr vorstellen können (Sind alle Menschen in der Lage, selbstbestimmt zu leben?).7 Komplexeinrichtungen sind vielerorts so ausgestattet, dass die Bewohner:innen das Gelände gar nicht mehr verlassen müssen.

Also ich meine, diese Rieseneinrichtungen, Arbeit, Wohnen, Freizeit an einem Ort (…). Da gibt es dann ein Schwimmbad, dann baut man am besten eine große Mauer drumrum und dann verlassen die das Gelände nicht mehr, weil sogar Ärzte auf dem Gelände sind.

Stakeholder:in (SH3TI2202107, Pos. 88)

Daher ist es wichtig, die Lebenswelten zu öffnen und den umgebenden Sozialraum zu erschließen. Sport- und Bildungsangebote sind ein Teil dieses Sozialraums. Wer sich gut im Sozialraum auskennt, hat einen aktuellen Überblick über Projekte, Angebote und Veranstaltungen. Diese Hinweise können dann wiederum in die Wohneinrichtungen weitervermittelt werden. Denn die wenigsten Angebote werden auch explizit für Menschen mit Behinderung beworben, so dass sie seltener davon erfahren. Aber nur, wenn Angebote bekannt sind, können sie auch genutzt werden.

Die meisten größeren Träger bieten selbst ein Freizeitprogramm für die Bewohner:innen an. Ein:e Stakeholder:in betont jedoch, dass diese Angebote häufig nur in Ermangelung einer Alternative genutzt werden. Gleichzeitig bleibt so keine Zeit mehr, um gegebenenfalls auch externe Angebote wahrzunehmen.

(…) das ist ja so ein Teufelskreis. Die Leute hätten jetzt im Moment gar nicht die Zeit, an inklusiven Angeboten teilzunehmen, weil sie schon so verplant sind mit den (einrichtung)sinternen (…) Programme(n) (…). Auf der anderen Seite nutzen sie die natürlich, weil sie im Moment keine Alternative haben. (…) Wenn diese zeitlichen Ressourcen da wären und aber auch die Möglichkeit, sich da irgendwo anzuschließen, wo auch immer das Interesse liegt, dann würde die Freizeit glaub ich schon ganz anders verbracht werden.

Stakeholder:in (SH4_TI1, Pos. 72)

Externe Angebote scheinen stärker zu motivieren, sie werden als interessanter wahrgenommen und nehmen einen höheren Stellenwert ein. Insbesondere junge Menschen mit Lernschwierigkeiten scheinen sich zu wünschen, häufiger oder sogar regelhaft reguläre Angebote besuchen zu können.

(…) für mich ist eher Fitness machen außerhalb (…). Ich brauche eher dann die Geräte dazu und zu Hause ist es auf Dauer dann für mich langweilig. (…) wenn ich jetzt im Fitnessstudio bin, dann hab ich Leute um mir und kann dann halt auch Experten fragen, wie die Übung richtig ausgeführt wird (…).

Projektteilnehmer:in (SH7_TI1, Pos. 85-89)

Gerade der Kontakt zu nicht behinderten Peers macht externe Angebote oftmals attraktiver als einen trägerinternen Kurs. Neben Sportkursen kann aber auch die Teilnahme an externen Sportevents, zum Beispiel an einem Firmenlauf, enorm motivierend sein (Vereine und Sportevents erobern). Das Zusammenkommen mit anderen Teilnehmer:innen wirkt ohnehin schon motivierend, da sich so auch neue Identifikationsmöglichkeiten bieten.

Ein gesunder Lebensstil ist keine behinderungsspezifische Frage, sondern betrifft alle Menschen gleichermaßen. Diese Erfahrung können Menschen mit Lernbehinderung insbesondere über inklusive Angebote machen.

Weil ich glaube (…), die möchten gerne nicht an einem Behindertensportprogramm teilnehmen, das sie nicht in die Gesellschaft bringt. Also sie haben Lust (…), Sachen zu machen, die auch Leute in ihrem Alter cool finden, und das aber am liebsten irgendwo, wo eben auch andere coole Leute rumhängen.

Stakeholder:in (SH4_TI1, Pos. 30)

Diese Interview-Aussagen lassen sich nicht verallgemeinern. Sie sind aber als ein Hinweis darauf zu sehen, dass zumindest ein Teil der Menschen mit Lernschwierigkeiten lieber an inklusiven Angeboten teilnehmen würde, als nur die Angebote der Wohneinrichtungen oder Träger nutzen zu können.

Überlegen Sie, wer sich am besten einen Überblick über den Sozialraum verschaffen und sich dort vernetzen kann. In vielen Fällen wohnen die Mitarbeiter:innen der Wohneinrichtungen an einem anderen Ort, so dass die sich nur in einer anderen Stadt oder in einem anderen Stadtteil auskennen. Daher ist es hilfreich, eine eigene Stelle zu schaffen, die sich nur mit der Erschließung des Sozialraums beschäftigt. Dazu können Sie eine Person neu einstellen oder den Stundenumfang und/oder Aufgabenbereich einer bereits angestellten Fachkraft erweitern.

Bemühen Sie sich um Vernetzung. Unabhängig davon, wer in der Wohneinrichtung zuständig ist: Gehen Sie aktiv auf die umliegenden Sportvereine und Bildungseinrichtungen zu und streben Sie Kooperationen an. In den meisten größeren Kommunen ist Quartiersarbeit üblich. Auch der Kontakt zu Quartiersbüros kann somit eine lohnende Aufgabe sein.

Wenn Sie den Kontakt zu Sportvereinen suchen, beachten Sie folgendes: Unglücklicherweise scheinen sich die einzelnen Sportarten dahingehend zu unterscheiden, wie Sie die Verantwortlichen am besten ansprechen. So soll es bei einigen Sportarten zielführender sein, über den Verband Kontakt aufzunehmen, während Sie bei anderen am besten ein hochrangiges Mitglied direkt kontaktieren. Eine Übersicht der jeweiligen Gepflogenheiten existiert nicht. Behalten Sie diesen Hinweis im Hinterkopf und wägen Sie ab, welche Vorgehensweise im jeweiligen Fall die beste ist.

Der Sozialraum beinhaltet einerseits die organisierten Sport- und Bildungsangebote. Ebenso interessant kann es aber sein, auch weniger strukturierte Angebote zu finden, die ohne Vereinsstruktur auskommen. Dazu zählen beispielsweise Angebote im Fitness-Outdoor-Bereich, aber auch Trendsportarten, die in losen Verbindungen und Bekanntengruppen ausgeübt werden (Informelle Angebote nutzen).

Auch für Bewohner:innen sollte es möglich sein, den eigenen Sozialraum zu erkunden. Dazu bedarf es gegebenenfalls der Assistenz und Begleitung. Einen ersten Zugang zu den Angeboten im Sozialraum können Sie schaffen, indem Sie Trainer:innen eines Vereins, Fitness- oder Yogastudios einladen. So können die Bewohner:innen die Sportart ausprobieren und bei Interesse einen Kurs im Umkreis aufsuchen.

So wichtig es ist, dass die Mehrheitsgesellschaft inklusiv und barrierefrei wird, so wichtig ist es, dass auch die Angebote der Behindertenarbeit selbst sich öffnen. Das betrifft Träger und Wohneinrichtungen sowie die behindertenspezifischen Sportverbände, die ein bestimmtes Angebot besetzen. Diese Sportverbände könnten beispielsweise auch eine Multiplikator- und Schnittstellenfunktion übernehmen, um Sportvereine mit Knowhow zu unterstützen.

Damit Wahlmöglichkeiten überhaupt bestehen, müssen Räume, die bisher sehr exklusiv sind, geöffnet werden. Solche großen gesellschaftlichen Veränderungen können bereits im Kleinen beginnen, etwa wenn der örtliche Sportverein alle Menschen unabhängig von ihrer Behinderung aufnimmt.

Inklusion leben

Was spricht dafür, weiterhin auch behinderungsspezifische Angebote vorzuhalten? Ein wichtiger Aspekt im Sport ist es, sich mit gleichstarken Personen messen zu können. Daher kann es sinnvoll sein, dass Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten sich in Sportgruppen zusammenschließen. Behinderungsspezifische Angebote können überdies ein Schutzraum sein. Wenn Menschen in regulären Angeboten oder allgemein im Alltag diskriminiert werden, können sie in exklusiven Gruppen mehr Sicherheit finden. Die Erfahrungen und Vorlieben von Menschen sind individuell. Jede:r entscheidet selbst, was für sie oder ihn am besten ist.

Neben den behinderungsspezifischen Angeboten wird in der UN-BRK jedoch auch klar gefordert, dass Menschen mit Behinderung „gleichberechtigt mit anderen“ an Sport- und Freizeitaktivitäten teilnehmen können (Art. 30 UN-BRK) und, dass allen Menschen ein inklusives Bildungssystem zur Verfügung steht, das ebenfalls Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen einschließt (Art. 24 UN-BRK).

Inklusion ist in Sportvereinen ganz verschieden ausgeprägt. Auch die Auffassung davon, was inklusiv ist, wird sich deutlich unterscheiden. An vielen Stellen wird es nötig sein, umzudenken und neue Realitäten anzuerkennen.

Beispiel

Alte Denkweise:

Das Schwimmbad will Menschen mit Behinderung nur in die Schwimmkurse aufnehmen, wenn sie ein eigenes Kursangebot für Menschen mit Behinderung bieten können.

Neue Denkweise:

Menschen mit Lernschwierigkeit können einfach am regulären Angebot, zum Beispiel am Senior:innen-Schwimmen, teilnehmen. Bei Bedarf werden sie zusätzlich von einer Assistenz unterstützt.

Inklusion bedeutet aber auch, die Strukturen insgesamt zu öffnen und Leute am gesamten Vereinsleben teilhaben zu lassen. Dazu bedarf es viel Reflexion über die eigenen Strukturen, die möglicherweise Personen bewusst oder unbewusst ausschließen.

(…) so etwas Essenzielles ist so dieser ganze Bereich Selbstreflexion und Reflexion der eigenen Strukturen, weil ich das gerade auch bei den Vereinen häufig erlebe, dass so die Idee von Inklusion sich dann auf einen bestimmten Raum begrenzt. (…) mein Gedanke ist immer noch, dann (…) zu sagen: Okay, was (…) würde es denn bedeuten, wenn der Verein tatsächlich inklusiv ist? Und was heißt das für die Vereinsstrukturen? Wer ist im Vorstand? Wer organisiert das Grillfest? Wer steht hinter der Kaffeekasse? (…) in welchen Bereichen ist der Verein immer noch exklusiv und wie kann man das auch verändern? Und dazu gehört eben ganz, ganz viel Selbstreflexion und immer wieder drauf zu achten, an welchen Bereichen eben Leute ausgeschlossen sind von dem sozialen Vereinsleben (…).

Stakeholder:in (SH10_TI3, Pos. 23)

Um diese Strukturen als Verein zu hinterfragen, eignen sich ebenfalls die Fragenkataloge des Index für Inklusion im und durch Sport.

Beginnen Sie mit der Reflexion. Nutzen Sie dazu die Fragenkataloge oder stellen Sie sich eigene, konkrete Fragen. Sollten bereits Menschen mit Behinderung Mitglied im Verein sein, dann beziehen Sie diese in jedem Fall mit ein.

Wenden Sie sich auch Ihren Angeboten zu. Stehen sie Menschen mit Behinderung ohnehin offen? Dann machen Sie für diese Angebote Werbung! Briefe an Wohneinrichtungen und Selbstvertretungsorganisationen, Informationen an den Kreis- oder Stadtsportbund, Kontaktaufnahme zur zuständigen Stelle bei der Kommune sind nur einige Möglichkeiten, die in Frage kommen.

Als Behindertensportverein oder Behindertensportgruppe können Sie darüber nachdenken, das Angebot auch für nicht behinderte Sportler:innen zu öffnen. Dabei ist es auch möglich, Sportarten miteinander zu kombinieren, also beispielsweise Basketball im Rollstuhl und zu Fuß zu spielen. Dazu sollte allerdings ein:e sensible:r Trainer:in vor Ort sein, die:der eine solche Gruppe gleichberechtigt trainieren kann.

Sollten Sie noch keine inklusiven Angebote machen können, dann überlegen Sie, was Sie konkret davon abhält. Schwammige Probleme sind oft zu groß und wirken dadurch unüberwindbar, während konkrete Herausforderungen in der Regel Lösungen haben.

Der nun folgende Hinweis ist mit Vorsicht zu genießen, weil er den Leistungsaspekt im Sport berührt, den viele Menschen gerne vermeiden möchten. Nicht jede:r hat Spaß an Wettkämpfen! Dennoch ist das Leistungsniveau ein wichtiges Kriterium im Sport. Einige Sportarten sind darauf ausgelegt, dass die Sportler:innen ein ähnliches Niveau haben. Beim Tennis etwa werden nur selten die Anfänger:innen gegen die Fortgeschrittenen spielen. Eine solche Zuteilung überfordert die einen und unterfordert die anderen. Andere Sportarten eignen sich hingegen besser, um auch mit unterschiedlichen Leistungsniveaus an einem Training teilzunehmen, weil die Einheiten individuell gut angepasst werden können. Schwimmen oder Turnen beispielsweise können in der Gruppe stattfinden, erlauben es jedoch, jeder Person ein eigenes Training zuzuweisen.

Denken Sie daher stärker in Leistungsniveaus. Und die andere Seite dieses Hinweises ist: Denken Sie weniger in Beeinträchtigungen. Sehen Sie zuerst Sportler:innen mit einem bestimmten Leistungsniveau – und später die Behinderung, insbesondere lösungsorientiert im Hinblick auf Barrierefreiheit. Die meisten Sportler:innen wollen sich fair mit anderen messen können; niemand möchte ein Wohltätigkeitsprojekt sein, mit dem nur gespielt wird, um „etwas Gutes zu tun“ – oder auf der anderen Seite immer verlieren, weil das Leistungsniveau einfach zu hoch ist.

Menschen mit Behinderung werden häufig als homogene und damit stereotypisierte Gruppe wahrgenommen. Doch wie stark, gelenkig oder talentiert eine Person ist, sehen Sie ihr nicht an. Und selbstverständlich können auch Menschen mit Lernschwierigkeiten sportlich sein.

Ich bin damals mit einer Gruppe (…) zum inklusiven Boule eingeladen worden. (…) Nur, dass die Boule-Spieler, die eigentlich zu dem Verein gehörten, eine Stunde später trainiert haben und wir nur den Platz nutzen durften. (…) Und die Leute bei uns, die haben richtig gut gespielt, die hatten da echt Talent. (…) es ist für die Menschen, die wir betreuen, echt ein Selbstwertgewinn, wenn die in so einer Gruppe mitspielen und dann vielleicht auch mal ein Spiel gewinnen. Und da kann man sagen, so, hier hebt sich gerade auch behindert und nicht behindert auf, wenn alle auf demselben Level unterwegs sind.

Stakeholder:in (SH4_TI1, Pos. 122)

Sollten Sie keinen Sportverein, sondern eine Bildungseinrichtung, Beratungsstelle oder ähnliches vertreten, dann können Sie die Anregungen ebenfalls nutzen. Klären Sie für Ihre Organisation, wo Sie möglicherweise exkludierend handeln und was Sie konkret brauchen, um (zumindest einige) Angebote offen für alle zu gestalten. Lesen Sie für entsprechende Anregungen auch noch einmal das Best Practice-Beispiel der VHS Nürnberg. Denken Sie bei allen neuen Angeboten Inklusion und Barrierefreiheit von Anfang an mit. Starten Sie, selbst wenn Sie zunächst nur in kleinen Schritten vorankommen.

Zu Bildungsangeboten melden sich Teilnehmer:innen beispielsweise vorab an. Dies ist eine gute Gelegenheit, um möglichen Unterstützungsbedarf abzufragen. Rollstuhl- oder rollatorgerechter Zugang? Begleitung vom Eingang zum Kursraum? Einfache Sprache? Dolmetscher:innen? Vorzeitiger Einlass? Transport? So wissen Sie, was Sie in Bezug auf Barrierefreiheit beachten müssen. Und müssen nicht pauschal einen Fahrdienst, drei Assistenzkräfte und Dolmetscher:innen für Russisch, Arabisch, Leichte Sprache und Deutsche Gebärdensprache bereithalten. Vielleicht planen Sie auch ein offenes Angebot, zu dem keine Anmeldung nötig ist. Dann fügen Sie einen entsprechenden Satz in Ihrer Einladung, Ihrem Flyer oder auf Ihrer Homepage ein, zum Beispiel:

Barrierefreiheit

Unsere Einrichtung ist schwellenlos nutzbar. Barrierefreie Toiletten sind vorhanden. Alle Räume haben T-Spulen. Bitte sagen Sie uns bis zum (Datum) Bescheid, wenn Sie noch etwas Anderes benötigen.

(Ansprechperson)

(Telefonnummer und E-Mail-Adresse)

Barrierefreiheit verunsichert Sie möglicherweise zu Beginn. Glücklicherweise lassen sich bereits im Internet unzählige Hinweise zu diesem Thema finden. Gute erste Anlaufstellen sind die Agenturen und Kompetenzzentren, die Sie im Kasten rechts finden. Die Webseiten bieten eine Fülle an Informationen, während zusätzlich Beratungen und auch Schulungen angeboten werden.

Ebenso wichtig wie die Planung von Barrierefreiheit von Anfang an ist es, dass Sie Expertise nutzen. Beziehen Sie Personen mit ein, die tatsächlich von Barrieren betroffen sind. Treten Sie dazu zum Beispiel in Kontakt mit Selbstvertretungen und überlegen Sie, welche anderen Organisationen sich eignen. Beratungsstellen wie die EUTB haben in der Regel einen guten Überblick über die regionalen Strukturen und können weitere Organisationen nennen. Partizipation, also Mitbestimmen und Mitentscheiden, ist ein wichtiger Baustein für Gesundheitsförderung. Und Partizipation sollte ebenfalls ein Eckpfeiler für einzelne Angebote sein, die inklusiv und barrierefrei sein wollen.

Agentur Barrierefrei NRW

Barrierefrei Leben e.V.

Bundesfachstelle Barrierefreiheit

Assistenz einplanen

Sorgen Sie dafür, dass diese Möglichkeiten bekannt sind. Nur so können die Assistenzstunden bei der Bedarfsermittlung passend beantragt werden. Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten benötigen im Alltag Assistenz. Unterstützungsdienste „einschließlich der persönlichen Assistenz“ sind in Art. 19 b der UN-BRK ausdrücklich festgeschrieben. Dazu kann auch die Begleitung bei Freizeitaktivitäten zählen. Eine besondere Herausforderung hierbei ist der Transport: Menschen mit Lernschwierigkeiten können mitunter nur in Begleitung am Straßenverkehr teilnehmen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Sie sind dann auf Assistenz angewiesen, die in der Praxis der Wohneinrichtungen jedoch häufig nicht verfügbar ist. Für viele Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es somit nahezu unmöglich, an Sport-, Bildungs- und anderen Freizeitaktivitäten teilzunehmen.

Auch während der Kurse können Menschen Assistenz benötigen, etwa beim Umkleiden oder bei der Kommunikation. Die Anbieter halten eine solche Assistenz nur selten selbst vor. Sportvereine sind in der Regel nicht in der Lage, mehr Übungsleiter:innen einzustellen, um einen höheren Assistenzbedarf abzudecken. Vereine scheuen sich daher möglicherweise davor, Menschen mit Behinderung in die Regelangebote aufzunehmen.

Weil das häufig so eine Angst ist bei den Vereinen. Die sagen: „Wenn dann eine Person auftaucht mit einem sehr hohen Betreuungsbedarf, dann müsste ich eigentlich zwei Übungsleiter:innen zur Verfügung stellen. Das kann ich mir aber nicht leisten. Wie soll so was gehen?“

Stakeholder:in (SH10_TI3, Pos. 17)

Daher sind Lösungen wichtig, um genau für diese Situationen individuelle Assistenz beantragen zu können.

Ein Persönliches Budget kann beispielsweise auch für den Freizeitbereich beantragt werden. Davon haben Sie schon gehört, aber es wirkte einfach zu kompliziert? Der Antrag erfordert tatsächlich etwas Arbeit. Bevor Sie nun aber entmutigt aufgeben, geben Sie der Idee eine Chance. Besuchen Sie mit den Bewohner:innen die EUTB oder eine andere versierte Beratungsstelle in Ihrer Nähe und lassen Sie sich beraten. Das Persönliche Budget ist in diesem Bereich das beste Instrument, das derzeit existiert – nutzen Sie es. (Die Forderung nach mehr unbürokratischer und kurzfristiger Unterstützung sollte dennoch aufrechterhalten bleiben.) Weitere Hinweise zum Persönlichen Budget finden Sie unter Personalressourcen bereitstellen

Eine verhältnismäßig unkomplizierte Möglichkeit der Assistenz sind ambulante Assistenzdienste, worüber beispielsweise Studierende einzelne Bewohner:innen zum Sport begleiten.

Auch Ehrenamtliche können Assistenz leisten oder eine Lücke überbrücken. Diese Lösung ist aber wohl eher als übergangsweise anzusehen. Es ist immer problematisch, wenn vorgeschriebene Personalressourcen durch Freiwillige ersetzt werden.

Seit der Covid-19-Pandemie finden viele Angebote online statt. Dazu müssen Menschen mit technischen Geräten umgehen können und in der Lage sein, an der Videokonferenz teilzunehmen. Menschen mit Lernschwierigkeiten, die im sogenannten Betreuten Wohnen leben, benötigen bei diesen Handlungen möglicherweise ebenfalls Assistenz. Die regulären Dienstzeiten der Fachkräfte decken diese Situationen jedoch nicht immer ab. Nach Absprache zwischen Bewohner:in und Fachkraft kann es vielleicht möglich sein, die Dienstzeiten entsprechend anzupassen. Falls nicht, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Umgang mit den digitalen Geräten einfach zu üben. In der Regel sind die Termine angefüllt mit alltäglichen Notwendigkeiten. Doch wenn es die Zeit erlaubt, dann üben Sie beispielsweise, wie man ein Tablet anschaltet, wo man das betreffende Icon findet, wie man sich in ein Videogespräch einwählt, wie man Mikrofon, Lautsprecher und Kamera bedient und wie man sich wieder auswählt. Starten Sie dazu selbst ein Meeting und nutzen Sie dieses zu Übungszwecken. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass zwei Endgeräte auf die Software zugreifen können – und dass Sie selbst mit der Technik vertraut sind.

Finanzierung sicherstellen

Und Geld. Geld. Es ist immer auch eine Frage von Ressourcen. Also Personalressourcen und Zeitressourcen. Aber letztendlich, wenn man das zurückwandelt, dann ist es Geld.

Stakeholder:in (SH11TI220210614, Pos. 94-96)

Geld spielt auf vielen Ebenen eine entscheidende Rolle, wenn es um Gesundheitsförderung geht. Sport- und Bildungsangebote, aber auch einige präventive Beratungsangebote kosten Geld. Vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten, die in Wohneinrichtungen leben, steht nur wenig Geld zur Verfügung.

Armut stellt eine zentrale Problematik im Leben von Menschen mit ‚geistiger Behinderung‘ dar, die (…) einer Teilhabe der Personen unmittelbar im Weg steht (…).8

Trescher 2017

Um selbstbestimmt entscheiden zu können, an einem Angebot teilzunehmen, werden die finanziellen Mittel aber benötigt.

(…) weil ein großes Thema ist bei uns halt auch die Finanzierung. Also unsere Teilnehmer können nicht sagen: Ich mache mal hier ein Sportangebot, ich gehe mal reiten, ich gehe mal irgendwo Tennis spielen, weil da definitiv das Geld zu knapp ist.

Stakeholder:in (SH15_TI1, Pos. 87-89)

In den Wohneinrichtungen ist die Finanzierung des Transports in vielen Fällen ein Problem. Wie kommen Menschen, die Assistenz benötigen, zum Veranstaltungsort? Dazu muss entweder ein Fahrdienst oder zusätzliches Personal als Wegbegleitung eingesetzt werden.

Die Erfahrungen im Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“ zeigen, dass viele Vereine durchaus gerne aktiv wären im Bereich der inklusiven Angebote. Häufig scheitern sie dann aber an finanziellen Hürden. Denn: Barrierefreiheit ist auch ein räumliches Konzept. Und es kostet Geld, Türen zu verbreitern, die Toilettenräume umzubauen, einen Lift für das Schwimmbecken zu installieren und so weiter. Wenn mehr Menschen teilnehmen, die Assistenz oder mehr Anleitung als andere brauchen, dann müssen gegebenenfalls auch mehr Übungsleiter:innen vor Ort sein. Das bedeutet mehr Personalkosten. Übungsleiter:innen sollten wiederum für inklusive Angebote geschult werden. Die Vereine müssen also auch Weiterbildungskosten übernehmen.

Anbieter von Bildungs- und Beratungsangeboten werden mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sein.

Und auch ausgewogene Ernährung kostet Geld. Kritik wurde hier insbesondere an der Verpflegung laut, die den Beschäftigten in den WfbM geboten wird. Als ein möglicher Grund wurde genannt, dass die Leistungssätze in diesem Bereich zu niedrig angesetzt sein könnten.

Finanzierung ist besonders komplex. Alle Themen in diesem Praxishandbuch hängen auch mit politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen – Gesundheitsförderung bedeutet, dass sich die soziale Umwelt verändert und Menschen Einfluss auf die Umwelt nehmen können. Dieses Praxishandbuch hält viele Hinweise bereit, die Sie bereits im kleineren Rahmen verfolgen können, um das Wohnsetting für Menschen mit Lernschwierigkeiten gesundheitsfördernder zu gestalten. Finanzierung jedoch sticht aus all diesen Punkten besonders heraus, weil sie wie keine andere Rahmenbedingung so direkt von politischen Entscheidungen abhängt. Und diese Entscheidungen werden oftmals auf Ebenen verhandelt, die Ihnen kein Mitspracherecht einräumen.

Was Sie hingegen immer tun können: Mitstreiter:in werden. Als Fachkraft einer Wohneinrichtung, als Berater:in oder als Verantwortliche:r bei Sportvereinen und Bildungsträgern kennen Sie die Herausforderungen besonders gut. Je nach Position können Sie sich daher für Veränderungen einsetzen: gegenüber der Einrichtungsleitung, gegenüber dem Leistungsträger, gegenüber der Landesregierung, aber auch ganz einfach bei Demonstrationen. In vielen Städten existieren Selbst- und Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung, die ihre Forderungen auch lautstark vertreten.

Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen leben, brauchen also im Idealfall ein Budget, das sie individuell einsetzen können. Damit könnten sie sowohl Teilnahmegebühren als auch Transport- und Assistenzkosten finanzieren. So wäre eine selbstbestimmte Auswahl von Angeboten möglich.

Dann, glaube ich, (…) wäre es deutlich einfacher, eben diesen inklusiven Gedanken tatsächlich in den Vordergrund zu stellen. Dass man nicht sagt: Okay, wir haben ein paar Bereiche, die haben wir für euch jetzt mal hergerichtet, dass ihr daran teilnehmen könnt, weil da sind jetzt gerade Gelder reingeflossen, das heißt, das könnt ihr in Anspruch nehmen – aber die ganzen anderen Bereiche, die sind leider jetzt gerade nicht zugänglich, weil da gibt es nicht genug Gelder.

Stakeholder:in (SH10_TI3, Pos. 17)

Welche Möglichkeiten haben Sie nun als Vertreter:in von Anbietern oder Wohneinrichtungen, wenn Sie die finanziellen Rahmenbedingungen beeinflussen wollen?

Zunächst sei hier erneut auf das Persönliche Budget verwiesen. Ein Antrag ist kompliziert und die Kritik daran berechtigt. Um alle Finanzierungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen, sollte das Antragsverfahren dennoch genutzt werden. Es ist möglich, dass Kosten für Mobilität, also Assistenz, Begleitung, Fahrtkosten und Mobilitätshilfen, sowie für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft übernommen werden (Personalressourcen bereitstellen).

Erkundigen Sie sich, ob in Ihrer Kommune andere Leistungen existieren, die beispielsweise für die Finanzierung von Assistenz oder Mobilität genutzt werden können. In Köln kann beispielsweise beim Amt für Soziales und Senioren die sogenannte Mobilitätshilfe beantragt werden. Eingeschlossen sind nur Personen berechtigt, die außerhalb der „besonderen“, also stationären Wohnformen leben.

Weitere Hinweise zur Gestaltung von Assistenz finden Sie unter Assistenz einplanen.

Als Sportverein können Sie Ihren zuständigen Stadt- oder Kreissportbund kontaktieren. Diese vergeben möglicherweise Fördergelder aus der Behindertensportbeihilfe und ähnlichen Fördertöpfen. Obwohl sich politisch in diesem Bereich etwas zu bewegen scheint, werden dennoch eher kleinere Summen zur Verfügung gestellt.

Als Sportverein können Sie auch eigenständig Fördergelder oder Stiftungsmittel beantragen. Weitere Informationen dazu finden Sie im Kapitel Barrierefreiheit ausbauen. Erkundigen Sie sich zudem nach der Möglichkeit, Projektmittel zu beantragen. In einigen Fällen können diese Fördergelder dort ebenfalls in Barrierefreiheit investiert werden. Das Projekt „Moderne Sportstätten“ etwa klingt nicht vordergründig nach barrierefreiem Umbau, fragen Sie daher möglichst immer nach.

Eine Form der Finanzierung, die Ihnen immer offen steht, sind Spendenaufrufe. Dazu können Sie Spendenbriefe verfassen oder einen Link auf Ihrer Homepage einfügen. Wenn Sie selbst keinen Sportverein vertreten, dann nutzen Sie die Expertise des Vereins in der Nachbarschaft: Sportvereine sind in der Regel Experten in der Ansprache von Sponsoren. Auch einige Vereinsmitglieder sind oft zu einer Spende bereit. Nachteil: So lassen sich voraussichtlich eher geringe Beträge generieren, und wegen ihrer Unvorhersehbarkeit kann mit diesen Geldern auch nicht definitiv geplant werden.

Klären Sie mit den zuständigen Krankenkassen, welche Leistungen diese als Präventivmaßnahmen erstatten. In der Regel haben Versicherte die Möglichkeit, bis zu zwei Präventionskurse im Jahr zu besuchen. Dazu zählen beispielsweise Yoga, Pilates, Rückenschule oder Rauchentwöhnung. Wichtig ist, dass der Kurs zertifiziert ist, damit die Kosten anteilig übernommen werden. Daher ist der Kontakt vorab in jedem Fall empfehlenswert.

Weitere Leistungen können im Einzelfall erstattet werden. Diese Einzelleistungen müssen Sie mit den zuständigen Sachbearbeiter:innen individuell klären. Das Präventionsgesetz sieht einerseits individuelle Leistungen vor, um Krankheitsrisiken zu verhindern oder zu vermeiden. Andererseits sollen auch gesundheitsfördernde Strukturen aufgebaut und gestärkt werden (§ 20a Abs. 1 SGB V).

Hinweis für Ernährungsberater:innen — Zertifizierung

Möchten Sie als Ernährungsberater:in Ihr Angebot auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten öffnen, dann stehen Sie möglicherweise vor diesem Problem: Die Krankenkassen übernehmen Ernährungsberatung nur in Einzelfällen, so dass Ernährungsberatung für viele Menschen, die in Wohneinrichtungen leben, zu teuer ist. Sobald Ihr Angebot jedoch als Präventionsangebot zertifiziert ist, können sich Menschen darauf verlassen, dass die Krankenkassen die Kosten erstatten (unter den üblichen Bedingungen). Dazu müssen Sie einen Kurs konzipieren und diesen von der Zentralen Prüfstelle Prävention zertifizieren lassen.

Hier der Link https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de/

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