Einleitung

„Gesundheit gilt als ein gesellschaftlicher Zentralwert. Mitunter ist sie für den Einzelnen das höchste Gut, ein entscheidender Faktor für subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität. Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.1 Wie erhält und fördert man aber Gesundheit?

Zahlreiche Studien belegen beispielsweise, dass regelmäßige körperliche Bewegung gegen chronische Krankheiten und frühzeitiges Versterben schützt. Schon ein Minimum an Bewegung entfaltet eine präventive und gesundheitszuträgliche Wirkung.2 Bewegung hat einen positiven Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System und den Bewegungsapparat, beugt hohen Blutzucker- und Cholesterinwerten vor und wirkt funktionellen Einschränkungen entgegen.3 Das psychische Wohlbefinden profitiert ebenfalls, Bewegung kann beispielsweise positive Auswirkungen auf Depressionen haben. Und außerdem: Bewegung kann Spaß machen, entspannen und ein gutes Gefühl geben.4

Auch Ernährung kann einige Risiken positiv beeinflussen, etwa Bluthochdruck, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Gefäßverkalkung und bestimmte Krebserkrankungen.5 Das subjektive Wohlbefinden kann ebenfalls durch gesunde und ausgewogene Ernährung gesteigert werden, wenn das Essen schmeckt und man es genießen kann. Zu einer gesunden Ernährung gehört aber mehr als die Orientierung an strengen Vorgaben – viel wichtiger ist es, eine Esskultur zu finden, die der persönlichen Lebenssituation und den eigenen Vorlieben entspricht.6

Entscheidungen für oder gegen die eigene Gesundheit können aber nur getroffen werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss ein Verständnis für Gesundheit vorhanden sein, also das Wissen darüber, welche Konsequenzen ein bestimmtes Verhalten haben kann. Denn nur ausreichend informiert kann man sich selbstbestimmt entscheiden. Zweitens muss es möglich sein, diese Entscheidungen auch umsetzen zu können. Auch die sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen spielen somit eine maßgebliche Rolle.

Das Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“

Menschen mit Lernschwierigkeiten7 verfügen häufig weder über das nötige Wissen noch über förderliche Rahmenbedingungen, um selbstbestimmt gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen zu können. Insbesondere Menschen, die in Wohneinrichtungen8 leben, haben oftmals kein differenziertes Verständnis von Gesundheit. Gleichzeitig ist vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten das Thema Gesundheit aber ebenso wichtig wie anderen Menschen.9

Am Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport wurde daher von 2019 bis 2022 das Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“ durchgeführt. Gefördert wurde das Projekt vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) in Nordrhein-Westfalen (NRW). Ziel des Projekts war es, die Lebenswelt Wohnen von Menschen mit Lernschwierigkeiten gesundheitsfördernder zu gestalten.

Abbildung 1 Organisationen im Netzwerk des Projekts Wohneinrichtungen sind violett hinterlegt, Leistungsträger und Angebote des Sozialraums weiß

Dazu wurde in zwei Strängen gearbeitet: Auf der Ebene der Verhaltensprävention hatten Menschen mit Lernschwierigkeiten die Möglichkeit, ihr Wissen zum Thema Gesundheit zu erweitern. Aus dieser Zusammenarbeit entstand ein Maßnahmenkatalog, der sich explizit an Menschen mit Lernschwierigkeiten richtet und über diesen Link zu beziehen ist: gesund-leben.digital

Auf der Ebene der Verhältnisprävention wurde ein Netzwerk aus unterschiedlichen Organisationen gegründet, um bestehende Strukturen weiterzuentwickeln. Abbildung 1 zeigt die Stakeholder:innen10 , die am Projekt „Gesund leben: Besser so, wie ich es will!“ beteiligt waren. Strukturentwicklungen können einerseits in den Wohneinrichtungen selbst stattfinden, andererseits müssen sich Strukturen auch im Sozialraum der Menschen verändern, um den chancengerechten Zugang zu Bildungs- und Bewegungsangeboten zu ermöglichen.

Das Praxishandbuch, das Sie nun lesen, ist aus Interviews und aus der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stakeholder:innen entstanden.

Was können Sie als Lesende erwarten?

Dieses Praxishandbuch zeigt auf, wie das Wohnsetting für Menschen mit Lernschwierigkeiten gesundheitsfördernd verändert werden kann – und verändert werden muss. Ziel dieser Veränderungen soll es sein, dass Menschen in Wohneinrichtungen in der Lage sind, gesundheitsrelevante Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen. Verstehen Sie dieses Praxishandbuch als einen Wegweiser, der Hinweise aus Wissenschaft und Praxis vereint, um Sie auf Ihrem Weg in Richtung selbstbestimmte, gesundheitsfördernde Wohnsettings zu begleiten.

Der Text adressiert in erster Linie Fachkräfte und Leitungspersonen in den Wohneinrichtungen. Das Wohnsetting besteht jedoch aus mehr als nur den Wohneinrichtungen. Auch der umgebende Sozialraum mitsamt seinen Sport- und Bildungsangeboten gehört dazu. An vielen Stellen richten sich die Hinweise daher explizit an Verantwortliche in Sportvereinen, Bildungseinrichtungen und anderen Organisationen.

So nutzen Sie dieses Praxishandbuch

Das Praxishandbuch ist in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Kapitel 1 beginnt mit einer Einführung in die Themen Gesundheit und Gesundheitsförderung. Kapitel 2 beinhaltet einen Überblick zu Selbstbestimmung und Empowerment. Aufbauend auf diesen Grundlagen bietet das Kapitel wichtige Hinweise und wertvolle Methodentipps, wie in Wohneinrichtungen mehr Selbstbestimmung stattfinden kann. Praktische Hinweise zur weiteren Gestaltung finden Sie in Kapitel 5. Dieses startet mit den Grundlagen zur Planung und enthält zudem allgemeine Gedanken zur Umsetzung. Daran anschließend wird das Kapitel konkret und geht gesondert auf die Bereiche Bewegung und Ernährung ein. Abschließend folgen Anregungen zu Gesundheit, Prävention und Motivation. Der Sozialraum wird in Kapitel 6 behandelt. Dort erfahren Sie, wie die Wohneinrichtung in Ihrer Stadt und in Ihrem Quartier verankert werden kann und wie ein Zugang zu allgemeinen Angeboten für alle Menschen möglich wird.

Im Kapitel 7 finden Sie für das Thema wichtige Kontaktadressen, die Ihnen den Einstieg in die Netzwerkarbeit erleichtern sollen.

Hier geht es zum nächsten Kapitel Das Recht auf Gesundheit